Markus Miksch im Interview mit Kerstin Nyst, Chefredakteurin JournalistenBlatt und Pressesprecherin Journalistenzentrum Deutschland zur Entwicklung der Führungskräfte im neuen Jahrtausend.
Vor Kurzem wurde Jeff Bezos, der Gründer von Amazon, zum schlechtesten Chef der Welt gewählt. Gleichzeitig schreitet die Entwicklung seines Unternehmens steil nach oben. Ein Zeichen, dass Führungskompetenz doch nicht so wichtig ist, wie häufig gefordert?
Ich denke, hier sollten wir zuerst einmal differenzieren: Anfang 2014 lag der Aktienkurs von Amazon bei 300 Euro, Ende Juni fiel er auf rund 200 Euro zurück, also ein Rückgang von über 30%.
Amazon entwickelte sich in den letzten Jahren hervorragend, keine Frage, doch die Mitarbeiterpolitik hinterlässt auch ihre Spuren, vor allem in der Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit.
Wir dürfen hier nicht den sogenannten Halo-Effekt unterschätzen: Bei dieser kognitiven Verzerrung verbinden wir ein bestimmtes Bild, das wir von einer Person oder in diesem Fall von einem Unternehmen haben, und legen es auf künftige Informationen um.
Dazu kommt ein gezielter Eindruck, den Amazon selbst in den letzten Jahren von sich etablierte. Ob diese tatsächlich der Wahrheit entspricht, sei dahingestellt.
Als CEO besitzt Jeff Bezos seinen Mitarbeitern gegenüber vor allem eine soziale Verantwortung. Diese befindet sich jedoch im Ungleichgewicht, wenn man das Verhältnis zwischen Unternehmensgewinn und den Rahmenbedingungen seiner Angestellten betrachtet.
Eine Strategie der Ausbeutung birgt immer eine große Gefahr: Sie bindet jene Führungskräfte an das Unternehmen, die diese Kultur als Nährboden für Machtausübung, Dominanz und Kontrolle sehen, sich darin austoben. Gleichzeitig werden die Manager den Konzern
verlassen, die ihren Fokus auf eine langfristige Mitarbeiterbindung legen. Am Ende des Tages zahlen solche Unternehmen einen hohen Preis.
Was würden Sie, als Führungsexperte, Herrn Bezos raten?
Es nicht zu übertreiben.
Ich würde Jeff Bezos außerdem empfehlen, natürlich unter Berücksichtigung der Ergebnisse, die Wirkung von Amazon in den einzelnen Ländern zu prüfen und kritisch zu hinterfragen. Ich würde ihm raten, in seine Mitarbeiter zu investieren, seine Führungskräfte zu entwickeln, damit diese neue Führungskräfte ausbilden können. Dieses Prinzip wurde von Papa John‘s einer hierzulande wenig bekannten Pizzeria-Kette, auf exzellente Weise umgesetzt. Papa John‘s zählt heute zu den am schnellsten wachsenden Franchise-Unternehmen mit in etwa 400 neuen Restaurants pro Jahr. Eine solche Expansion, basierend auf hervorragenden Kennzahlen, funktioniert nur mit einem erfolgshungrigen und loyalen Mitarbeiterstamm.
Amazon ist jetzt kein Pizzaladen, doch Amazon möchte wachsen und seine Position des weltweit größten Einzelhändlers ausbauen. Und dafür braucht es auch exzellente und loyale Mitarbeiter, außerdem eine positive Presse.
Das, so würde ich Herrn Bezos raten, sollte kein Unternehmen aus dem Fokus verlieren.
Fachwissen gilt seit Jahrhunderten als Garant für Erfolg. Hat sich im Laufe der Zeit etwas daran geändert?
Fachliche Kompetenz ist natürlich auch heute noch ein wesentlicher Faktor für unternehmerischen Erfolg, gleichzeitig erleben wir seit einigen Jahren eine Verschiebung der dafür notwendigen Fähigkeiten, gerade bei Führungskräften. Während in anderen Bereichen Fachwissen essentiell ist, müssen Vorgesetzte immer stärker ihre Kompetenzen ausweiten, um Mitarbeiter zu Top-Leistungsbringern ihres Unternehmens zu entwickeln.
Heute hilft es einem Teamleiter nicht mehr, lediglich über eine ausgezeichnete fachliche Kompetenz zu verfügen, damit motiviert heutzutage niemand mehr sein Team. Der Vorgesetzte sollte jedoch wissen, welche Wirkung er bei den Angestellten erzeugen möchte und er muss die Wertesysteme der einzelnen Personen kennen.
Schließlich besteht seine Aufgabe nicht darin, jede Arbeit selbst zu erledigen, sondern seine Mitarbeiter zu Höchstleistungen zu bringen.
Sie behaupten, eine Führungskraft muss in erster Linie die richtige Wirkung erzeugen. Warum eigentlich?
Im Umgang mit unseren Mitmenschen verfolgen wir nach wie vor eine der ältesten Strategien der Menschheit: Wir schließen vom Verhalten des Gegenübers auf dessen Absichten.
Im Unternehmens-Kontext können wir es so verstehen, dass Mitarbeiter unbewusst vom Auftreten ihres Vorgesetzten auf seine Fähigkeiten als Führungskraft, seine Charaktereigenschaften und sein Wertesystem schließen.
Sollte ein Vorgesetzter in diesen Bereichen bei seiner Mannschaft gut abschneiden, generiert er dadurch einen wertvollen Bonus, den er nur noch schwer verspielen kann.
Gerade bei der Übernahme eines neuen Teams ist es für den designierten Teamleiter außerordentlich wichtig, schnell eine vertrauensvolle Basis aufzubauen.
Der Grund liegt darin, dass wir einer anderen Personen nur dann folgen, wenn wir ihm vertrauen. Nämlich in seine Fähigkeiten, die richtigen Entscheidungen für uns zu treffen.
Die Wurzeln dieses Verhaltens führen zu den frühen Menschen zurück, als wir gezwungen waren, uns in Gruppen zusammenzuschließen, um unser Überleben zu sichern. Da wir zu Beginn der Sprache noch nicht mächtig waren, entwickelten wir im Laufe der Generationen ein Gespür, wie sich Anführer richtig verhielten.
Ein guter Anführer brachte uns durch die harten Winter, motivierte uns, solide Unterkünfte auszuwählen und zu bauen und sorgte für den Zusammenhalt innerhalb der Gruppe. Diesen Programmen folgen wir heute genauso wie damals.
Aus diesem Grund ist „Führen durch Wirkung“ ein wichtiger Baustein im Leadership, da jeder Mitarbeiter von der Körpersprache des Chefs, seiner Außenwirkung und seinem Verhalten auf dessen Führungsqualitäten schließt.
Und das lange, bevor der Angestellte überhaupt hinhört, was der Teamleiter eigentlich spricht.
Sie sprechen von einem wichtigen Baustein. Welche gibt es noch?
Die Frage ist vielmehr: „Was macht eine gute Führungskraft aus?“ und dahinter steckt wiederum: „Was bedeutet es, eine gute Führungskraft zu sein?“
Ich zäume das Pferd am besten von hinten auf. Als gute Führungskraft gelten jene Teamleiter, die es schaffen, ihre Mitarbeiter zu Top-Leistungsträgern zu entwickeln und zu halten mit einer gleichzeitig hohen Loyalität dem Unternehmen gegenüber. Mit anderen Worten: Eine gute Führungskraft erzeugt mit seinem Team einen erheblichen Wert für das Unternehmen und bindet ihre Mitarbeiter überdurchschnittlich lange an die Firma.
Die nächste Frage, „Was macht eine gute Führungskraft aus?“, möchte ich mit dem Hinweis auf Enerforce-Leadership®, einem von mir entwickelten Führungssystem, beantworten. Enerforce-Leadership® beruht auf den Prinzipien Wirkung erzielen, Stärken entwickeln, Perspektiven integrieren.
Eine gute Führungskraft muss heute in der Lage sein, durch ihre Außenwirkung Sicherheit, Ruhe, Verlässlichkeit und Kompetenz auszustrahlen. Im besten Falle haben wir es mit einer charismatischen Persönlichkeit zu tun.
Es versteht sich eigentlich von selbst, dass diese nach außen getragene Werte auch Teil der Persönlichkeitsstruktur sein sollte. Bei einem authentischen Auftreten erhalten wir normalerweise auch ein kohärentes Bild. Das belegen zumindest viele Studien, die zeigten, dass wir unser Verhalten und unsere Einstellung den Bewegungen bzw. der Körperhaltung anpassen, die wir einnehmen.
Eine erfolgreiche Führungskraft wird ihre Mitarbeiter an deren Stärken entwickeln. Das bedeutet, dass ein solcher Manager zuerst in die Lage
kommen muss, die Kompetenzen seiner Leute zu identifizieren. In meinen Seminaren vermittle ich den Teilnehmern das System der positiven Psychologie und helfe den Teilnehmern, eine ressourcenorientierte Förderung ihrer Mitarbeiter zu realisieren. Auf diese Weise verschwenden wir keine Zeit und damit auch keine Energie, um wenig oder nicht vorhandene Fähigkeiten bei einzelnen Personen innerhalb des Teams auf ein nur niedriges Niveau hochzutreiben.
Viel besser ist es ja, ihre Stärken so zu entwickeln, bis sie absolute Könner in ihren Bereichen werden.
Letztlich müssen Führungskräfte die Wertesysteme eines jeden einzelnen Mitarbeiters kennen. Wenn einer im Team ein sicherheitsorientiertes Wertesystem pflegt und ein anderer statusgeprägte Werte besitzt, bin ich gut beraten, beide Personen unterschiedlich zu führen. Erst dann schaffe ich es, die Unternehmensziele in ihren Köpfen zu verankern.
Es führt sogar so weit, dass ich die Unternehmensziele diesen Wertesystemen anpassen sollte, denn nur so erzeuge ich ein hohes Motivationsniveau innerhalb der Belegschaft. Doch das benötigt flexible Unternehmensstrukturen, die bei uns in Deutschland oder in Österreich nur selten zu finden sind.
Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit – Kann man mit dieser Einstellung auch in die Führungsetagen gelangen?
Die meisten Menschen lassen sich von einem exzellenten Auftreten täuschen, auch wenn diese Person vielleicht über keinerlei Kompetenz als Führungskraft verfügt.
Der Grund liegt darin, dass wir noch immer im hohen Maße nach nonverbalen Kriterien urteilen, denn diese Strategie sicherte seit Anbeginn unserer Existenz unser Überleben.
Gleichzeitig werden sich solche Führungskräfte wohl nicht lange in ihrer Rolle halten können, schließlich benötigen sie ein Team, das ihnen folgt.
„Authentisches Verhalten“ lautet in diesem Fall das Zauberwort. Wir merken normalerweise recht schnell, ob dieses Bild, das unser Gegenüber von sich zu vermitteln versucht, stimmig ist oder nicht.
Sollte unter „Ahnungslosigkeit“ fehlendes Fachwissen gemeint sein, dann lautet meine Antwort „Ja“. In diesem Fall gelangt man in die Führungsetage und behauptet sich dort auch. Vorausgesetzt, diese Person verfügt im Ausgleich über hervorragende Führungskompetenzen.
Bezogen auf mangelndes Wissen oder fehlende Kompetenzen, um ein Team erfolgreich zu leiten, kann ich vielleicht in die Führungsetage gelangen, werde mich da aber nicht lange halten.
Häufig erkennen wir solche Manager daran, dass sie ungefähr alle zwei Jahre das Unternehmen wechseln, ohne dabei die Karriereleiter weiter noch oben stiegen. In diesem Fall würde ich als Personalleiter eine gewisse Sorgfalt im Auswahlverfahren an den Tag legen.
Sie selber haben eine tolle Karriere hingelegt. Was raten Sie Berufsanfängern, wenn diese eine große Karriere vor Augen haben und in die Führungsebene streben?
Disziplin, respektvoller Umgang und eine leidenschaftliche Neugierde.
Sollten sie später einmal Teams leiten wollen, dann gehört dazu noch ein großes Interesse an anderen Menschen. Mir ist kein Misanthrop bekannt, der eine erfolgreiche Führungskraft wurde.
„Fortbildung“, das ist auch ein essentieller Punkt! Ich denke, junge Menschen, die heute Karriere machen wollen und bereit sind, zu lernen und dabei über den Tellerrand hinaus zu blicken, haben hervorragende Chancen, in der Wirtschaft Großes zu bewegen.
Das Thema Frauenquote ist derzeit in aller Munde. Ist eine Frau, die Talent, Stärke, Ausbildung und Erfahrung hat, Ihrer Meinung nach überhaupt auf eine „Frauenquote“ angewiesen?
Ich sehe das Problem auf uns zukommen, dass Frauen häufig ein ganz anderes Wertesystem pflegen, als Männer.
Untersuchungen zeigten eine hohe Verschiebung von intrinsischer Motivation bei Frauen im Gegensatz zur extrinsischen Motivation, also ein Anreiz über äußere Reize wie hohe Gehälter, Firmenwagen, Boni etc. bei Männern.
Zudem lehnen Frauen öfter als vermutet scheinbar
überaus attraktive Karriereschritte ab, wenn sich diese beispielsweise nicht mit ihrer benötigten Freizeit für ihre Familie vereinbaren lassen.
Diese Differenzen im Verhalten der Karriereplanung finden ihren Ursprung in der unterschiedlichen Natur zwischen Frauen und Männern. Während Männer für gewöhnlich stark wettbewerbsorientiert agieren und sich neuen Herausforderungen häufig mit Leidenschaft stellen, wägen Frauen sehr gut ab, wie sich der angebotene Karrieresprung auf für sie bedeutsame Lebensbereiche, wie beispielsweise die Familie, auswirken.
Zusammenfassend denke ich, die Frauenquote führt letztlich dazu, dass uns klar wird, wie gering die Zahl jener Frauen tatsächlich ist, die Karriereleiter nach oben zu steigen.
Weit wichtiger erscheint es mir, das Image der weiblichen Führungskraft als hoch qualifizierte Leistungsträgerin zu stärken. Dazu benötigt es aber auch Programme, um Männer und Frauen miteinander als Teams zusammenzuführen. Denn wie Studien ergaben, nehmen beide Geschlechter ihr Umfeld unterschiedlich wahr und sprechen oftmals aneinander vorbei.
Erst dann wächst die Bereitschaft, mehr Frauen in Spitzenpositionen deutscher Unternehmen zu heben. Erst dann wandelt sich das Prädikat „weibliche Führungskraft“ von einem Stigma in eine Stärke.
Entsprechenden Schulungen schaffen hier Abhilfe. Dann werden gemischte Teams zu einer Chance für viele Firmen.
Wie kann die Unternehmensführung am ehesten weitere Nachwuchskräfte heran ziehen und fördern?
Das ist eine sehr spannende Frage.
Meiner Meinung nach herrscht in Deutschland, aber auch in Österreich, weitestgehend noch immer eine viel zu starre Unternehmenskultur. Darunter verstehe ich, dass die meisten Unternehmen zu wenig Flexibilität besitzen, um Mitarbeitern mit
hohem Entwicklungspotential Möglichkeiten zu bieten, ihre Kreativität auszubauen und sich weiter zu entwickeln.
Während die Voraussetzungen für eine Unternehmenskultur, die eine Entwicklung ihrer High-Potentials fördert, von der Unternehmensführung etabliert werden muss, liegt die Verantwortung der Identifizierung von hoch potentiellen Nachwuchskräften ganz klar bei den Führungskräften! In Deutschland haben wir das Problem, dass Jüngere und hochqualifizierte Mitarbeiter heute im Durchschnitt alle zwei Jahre ihren Job wechseln.
An dieser Stelle sollten wir uns fragen, warum das der Fall ist?
Der Grund liegt mit Sicherheit nicht darin, dass der Prozess einer Bewerbung einen so hohen Lustgewinn mit sich führt. Ebenso wenig die Situation, sich in einem neuen Unternehmen wieder zu etablieren.
Ich bin davon überzeugt, dass gut ausgebildete Führungskräfte einen hohen Anteil an der Loyalität ihrer Mitarbeiter haben.
Auch bin ich davon überzeugt, dass gut ausgebildete Führungskräfte in Kombination mit einer flexiblen Unternehmenskultur, die den nötigen Nährboden für die Entwicklung ihrer hochqualifizierten und jungen Mitarbeiter schafft, die besten Chancen in ihren jeweiligen Märkten besitzen!
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