Manchmal befinden wir uns Göttern näher, als uns lieb ist
Was Führungskräfte von Tibet lernen können |
In Tibet verehren die Menschen ihre religiösen Führer bereits zu Lebzeiten. Moderne Führungskräfte können daraus weit mehr lernen, als die meisten von ihnen ahnen.
Der tibetische Buddhismus wird von seinen Anhängern besonders intensiv gepflegt. In Tibets Hauptstadt Lhasa trifft man ständig auf Gläubige, die mit ihren Gebetsmühlen und -ketten in der Hand murmelnd buddhistische Verse rezitieren. Vor den Klostern in der Stadt tummeln sich zudem regelmäßig hunderte Pilger, die sich alle drei Schritte hingebungsvoll auf den Boden legen, als Zeichen der Verehrung und religiösen Hingabe.
Ein tragisches Schicksal
Auf meiner letzten Asienreise im November 2015 erfuhr ich die Geschichte des zehnten Panchen Lama. Neben dem Dalai Lama zählt der Panchen Lama übrigens zum wichtigsten religiösen Führer der Tibeter. Der zehnte Panchen Lama lebte von 1938 bis 1989 und ähnlich wie beim Dalai Lama, entdeckte man ihn ebenfalls bereits als Kind und hob ihn in diese verantwortungsvolle Rolle. Im Jahre 1964 verhaftete die chinesische Regierung den jungen Mann und steckte ihn wegen seiner angeblichen antichinesischen Haltung über zehn Jahre ins Gefängnis. Als er 1984 wieder nach Tibet zurückkehrte, zog er sich in sein Kloster Tashilhunpo in der Stadt Shigatse zurück.Es dauerte nur wenige Wochen, bis sich tausende Pilger vor dem Kloster versammelten, um die Rückkehr ihres spirituellen Führers zu feiern. Der zehnte Panchen Lama entschied sich darauf hin, diese Leute zu segnen und so strömten in den kommenden 10 Tagen über 50.000 Menschen in das Kloster. Bei jedem dieser Pilger legte der Panchen Lama seine Hand auf ihre Stirn, konzentrierte sich und murmelte einige Sätze.
Wenige Tage nach diesem Gewaltakt starb er.
Welche Verbindung besteht zwischen Führungskräften und tibetischen Führern?
So jedenfalls erzählte diese Geschichte der Reiseführer, der uns durch Tibet begleitete. Wenn wir das tragische Schicksal dieses großen Mannes nüchtern betrachten, ereigneten sich folgende Dinge in den letzten Tagen seines Lebens:Er genoss bereits zu Lebzeiten ein hohes Ansehen unter den Menschen in Tibet. Seinen Status als religiöser Führer bekam er zugesprochen, doch erst durch sein Verhalten, seine Wirkung und seine Taten zog er die Menschen an, damit sie ihm und seinen Worten auch tatsächlich folgten.
Als er nach seiner Gefangenschaft wieder nach Tibet zurückkehrte, verbreitete sich diese Nachricht sehr schnell. Es gilt nicht als gesichert, was diese Leute dazu bewog, sich zum Kloster zu begeben, doch sein Schicksal, in Kombination mit seinem Wirken, versetzte die Menschen in Bewegung. Sie verbanden mit ihm eine bestimmte Erwartungshaltung.
Nach einigen Tagen gab er dem Drängen der Gläubigen nach und erfüllte diese Erwartungshaltung. Was folgte, war ein richtiggehender Pilgermarathon, der ihm alles abverlangte. Möglicherweise starb der bereits ohnehin geschwächte Panchen Lama an Überanstrengung. Mit anderen Worten: Seine Rolle als spiritueller Führer führte zu einem gefährlichen Ungleichgewicht, das letztlich sogar sein Leben kostete.
Was bedeutet diese Erzählung nun für uns - durchaus weltliche - Führungskräfte?
Zum Ersten urteilen Menschen - und damit unsere Mitarbeiter - anhand der Geschichten, die sie von uns hören. Führungskräfte entsprechen zu Beginn einer Zusammenarbeit der Summe der Erzählungen, die man über sie verbreitet.Wenn Sie also ein neues Team übernehmen, sollten Sie sich im Klaren sein, was man über Sie im Internet findet. Besser wäre es, Sie selbst sorgen für die richtigen Meldungen im weltweiten Netz. Nämlich jene, die Sie gerne am liebsten von sich lesen würden. Fachartikel, Buchveröffentlichungen und Interviews in Print und TV gelten als besonders wichtige Wege, um eine möglichst wirkungsvolle Publicity zu betreiben. Sie lassen sich gezielt steuern, zumindest größtenteils, und es bedeutet weniger Aufwand, als Sie vielleicht denken.
Außerdem kann man von dieser Geschichte lernen, wie wir die Loyalität unserer Mitarbeiter erhöhen können. Dazu braucht es nicht die Berufung zu einem spirituellen Führer. In den allermeisten Fällen genügt es, authentisch zu bleiben, Fairness zu üben. Aber auch, Mitarbeitern einen Weg aufzuzeigen, also nachvollziehbare Strategien zu entwickeln und diese mit Perspektiven zu hinterlegen. Eine wertschätzende Behandlung zählt ebenfalls dazu. Genau diese Eigenschaften sagte man dem elften Panchen Lama nach.
Punkt Nummer Drei erscheint mir jedoch besonders wichtig: Wenn wir uns als Führungskräfte aufopfern, alles für den Beruf hergeben, ohne auf den nötigen Ausgleich zu achten, werden wir uns krank arbeiten.
Dieser geistige Führer der Tibeter arbeitete sich zu Tode und das konnte letztlich wohl nicht im Interesse seiner Anhänger gewesen sein!
Ausgewogenheit als Schlüssel zum Erfolg
Wir müssen auf eine funktionierende Work-Life-Balance achten, wollen wir auch noch in zehn Jahren unser Leben genießen.Sie lieben Ihren Job als Manager, Führungskraft oder Unternehmer? Wunderbar, dann pflegen Sie Ihre Familie, Ihren Freundeskreis und Ihre Hobbys, damit es in Zukunft dabei bleibt. Nämlich ein Job, den Sie mit gesunder Leidenschaft nachgehen wollen und können. Um das zu erreichen, brauchen Sie kein Panchen Lama zu werden.
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